
Arbeitgebermerkmal Familienfreundlichkeit: Sein oder Schein?
- Posted by Silke-Carolin
- On 13. September 2019
- Employer Branding, Familienfreundlichkeit, Führung, New Work, Personal, Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur, War of Talents, Work-Life-Balance
„Als Mutter von zwei kleinen Kindern sind Ihre aktuellen Chancen am Arbeitsmarkt in Ihrer Branche eher gering. Von Gleichberechtigung sind wir in Deutschland noch meilenweit entfernt.“
In genau diesem Moment spricht die Beraterin beim Arbeitsamt aus, was eine Freundin von mir schon seit mehreren Jahren befürchtet – und nun als wieder berufstätige (und mehr als arbeitswillige) Mutter live erlebt.
„Ist Ihre Familienplanung schon abgeschlossen?“
„Wo lassen Sie denn dann Ihre Kinder?“
„Was sagt Ihr Partner dazu?“
So klingen Fragen aus Bewerbungsgesprächen, die auch mir persönlich gestellt wurden. Sie sind zwar offiziell alles andere als erlaubt, wurden aber dennoch gestellt – zum Teil in Anwesenheit von Personalratsmitgliedern, zum Teil sogar von Unternehmen der öffentlich-rechtlichen Finanzbranche.
Und meine Antwort? Hätte lauten sollen: „Fragen Sie das auch Ihre männlichen Bewerber?“
Die Weichen sind längst gestellt
Die Politik hat mit dem Elterngeld die Weichen für Männer und Frauen gestellt, bei der Kindeserziehung und bei der finanziellen Absicherung der Familie die Aufgaben untereinander gleichberechtigter zu verteilen. Frauen können in den Beruf schnell/schneller zurückkehren, wenn der Partner einen Teil der Betreuung des Kindes übernimmt. Männer erleben eine aktivere Vaterrolle, in der sie die Erziehung Ihrer Kinder mitgestalten und am Familienleben stärker teilnehmen als oftmals die eigene Elterngeneration dies vorgelebt hat. Arbeitgeber können die Arbeitnehmerin mit Ihrem fachlichen Know-how und der Berufserfahrung im eigenen Haus wieder ihrer fachlichen Eignung entsprechend einsetzen. Soweit die Theorie.
Was aber, wenn eine berufliche Neu- oder Umorientierung ansteht, weil das Elternsein einen neuen Stellenwert neben der bisherigen beruflichen Tätigkeit einnimmt? Was, wenn ein familienbedingter Ortswechsel zu einer Kündigung und einem Neuanfang als Arbeitnehmer*in führt? Was, wenn Arbeitnehmer*innen flexibel Ihre Arbeitskraft, Ideen und Motivation einbringen wollen?
Dann – so ist meine Erfahrung – sind die politischen Weichenstellungen nur bedingt ausreichend, um in die Köpfe von Personal- und Führungskräften durchzudringen. Denn auch wenn auf Kongressen und in der Presse (und gewiss auch bei den jährlichen firmeninternen Strategietagungen) die Themen „War of Talents“, „Familienfreundlichkeit“, „Employee Branding“ und andere Schlüsselwörter fallen, lässt die Umsetzung in den Betrieben häufig viele (Arbeitnehmer*innen-)Wünsche offen. Als Vater Elternzeit >2 Monate nehmen? Als Führungskraft in Teilzeit oder als Jobsharing arbeiten? Als neue Angestellte Homeoffice und flexible Arbeitsweisen einfordern? Das geht nun wirklich nicht!
New Work als Chance für alle
Dabei bietet die viel umschriebene „neue Arbeitswelt“, häufig auch mit dem Begriff New Work (angelehnt an Frithjof Bergmann, Philosoph), technisch inzwischen ausreichend Möglichkeiten, um Arbeitnehmer*innen kollaborative und zeitlich sowie räumlich flexible Arbeitsweisen zu ermöglichen. In der Praxis hinken hier aber häufig Unternehmen noch hinterher. Dies liegt zum Einen an den technischen Möglichkeiten, die Firmen (noch nicht) anbieten. Dies liegt zum Anderen an dem fehlenden Verständnis, dass erfahrene Mitarbeiter*innen, die das Unternehmen bereits kennen, produktiver arbeiten als eine neu eingekaufte Kraft, die noch auf die entsprechende Position eingearbeitet werden muss. Und manchmal ist es offenbar schicker (und intern akzeptierter), wenn erst eine externe Unternehmensberatung für teures Geld ein Konzept zum mobilen Arbeiten (z. B. Im Rahmen eines Change- oder Digitalisierungsprojektes) vorschlägt und umsetzt. Dieses Beispiel habe ich selbst auch schon erlebt.
Meine Nacharbarin ist Ärztin – ein Job, der ihre Anwesenheit erfordert und eben nicht im Homeoffice erledigt wird. Hat sie es als junge Mutter leicht, in den Beruf zurückzufinden und qualifizierte Aufgaben zu übernehmen? Leider nein, obwohl sie motiviert (und qualifiziert) ist bleiben ihr Positionen mit einer Karriereperspektive verwehrt. Denn: In ihrer Klinik wurden die aussichtsreichen Jobs an junge Ärzte vergeben, obwohl diese schlechter ausgebildet waren als sie. Ein Einzelfall? Laut ihrer Aussage nein, denn auch ihre ehemaligen Kommilitoninnen machen ähnliche Erfahrungen. Und in der aktuellen Praxis, in der sie arbeitet, ist man nicht bereit, eine Stelle auf zwei Teilzeitkräfte aufzuteilen. So qualifiziert sie sich in ihrer Freizeit weiter – auf eigene Kosten – um für die Zukunft (z. B. auf dem Land in einer Allgemeinmedizinerpraxis) gewappnet zu sein…
Ähnliches berichtete eine andere Nachbarin aus dem Umfeld der Lehrkräfte: Einer werdenden Mutter die Stelle freihalten? Ja klar, hieß es, als sie signalisierte, dass ihr Mann und sie eine Familie gründen wollen. Doch mit der Nachricht „Ich bin schwanger“ änderte sich diese Haltung augenblicklich. An das vorher ausgesprochene Versprechen wollte sich der Schulleiter plötzlich nicht mehr erinnern. Noch ein weiterer Einzelfall?
Wie kann es anders gehen?
Meine persönlichen Thesen zu diesem Thema:
1. Mütter sind motivierte und häufig gut strukturierte Arbeitskräfte – wenn man Ihnen die Möglichkeiten gibt, ihre Aufgaben freier bzw. Flexibler zu bearbeiten und zu strukturieren, können sie ihr Potenzial freisetzen, ohne durch berufsbedingtes Pendeln oder feste Anwesenheitszeiten eingeschränkt zu sein.
2. Ausgeglichene Eltern geben ihren Kindern ein harmonisches Umfeld zum Aufwachsen, weil sich die eigene Zufriedenheit (mit dem Beruf bzw. der Vereinbarkeit von Beruf und Familie) auf die Kinder überträgt (und ebenso umgekehrt: Stress im Familienalltag aufgrund von inflexiblen Arbeitsmodellen überträgt sich in die Familie hinein).
3. Berufstätige Eltern, die Beruf und Familienleben verbinden, können als Vorbilder in unserer Gesellschaft dienen. Der vielzitierte Blick auf die skandinavischen Länder soll hier nur am Rande erwähnt sein. Mein Eindruck beim letzten Besuch in Kopenhagen war: Um 16:00 Uhr waren die Arbeitnehmer auf dem Heimweg, die Familien zum Teil schon gemeinsam unterwegs.
4. Flexibilität und Großzügigkeit seitens des Arbeitgebers zahlt sich aus: Krankmelden mit Kind kann auch ohne speziellen Nachweis des Kinderarztes und ohne Abmeldung des Arbeitnehmers bei der Krankenkasse (mit daraus resultierenden finanziellen Nachteilen) erfolgen. Ein/e weniger gestresste/r Arbeitnehmer/in dankt…
5.Aufgabenpakete für eine Arbeitswoche vereinbaren und ggf. Fortschritt bzw. gemeinsame Abstimmtermine definieren. Wann und wo die Arbeit erledigt wird, kann der/die Arbeitnehmer*in eigenständig entscheiden. Dieses Vertrauen zahlt sich nach meiner Erfahrung ebenfalls aus., der befürchtete Missbrauch blieb aus.
Was braucht es von Seiten der Unternehmen?
– Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen. Eigentlich nichts Anderes als bei der Kindererziehung auch 😉
– Offene Kommunikations- und Fehlerkultur
– Technische Möglichkeiten
– Rahmenbedingungen (z. B. Vereinbarung mit dem Betriebsrat)
Und nun bin ich gespannt: Was sind Deine/Ihre Erfahrungen zu dem Thema? Schreiben Sie mir gerne eine E-Mail!
P.S.: Dieser Artikel verzichtet bewusst auf eine ausführliche Quellenrecherche. Stattdessen gehe ich jetzt mit meinen Kindern Schaukeln.